Es gab einmal einen Blog, es soll ihn wieder geben. Einige Monde schon sehne ich die Wiederauferstehung herbei. Gestern kam der Impuls, den ich noch brauchte. Von einer, die auch gerade auf Reisen war, mutig und wachsend, zurückkehrend mit Inspirationen. Den folgenden Text vom 13.03.2014 habe ich aus meinem Archiv gezogen und etwas überarbeitet. Es sind einige Gedanken dazu, was mich reisen lässt – und indirekt auch darüber, warum es lohnt, davon zu erzählen.
Einsam in einer fremden Stadt aufzuwachen,
ist eine der angenehmsten Empfindungen der Welt.
Du bist von Abenteuern umgeben.
Du hast keine Ahnung, was auf dich zukommt,
aber wenn du weise bist und die Kunst des Reisens verstehst,
wirst du dich auf den Strom des Unbekannten einlassen.
(Freya Stark)
Was ist das Besondere am Reisen, was macht mich bisweilen so glücklich daran? Am liebsten ein bisschen abseits der ganz konventionellen Pfade. Und gerne auch mal ein bisschen neben der Saison. Und wieso immer wieder mal alleine?
Das Thema mehrfach hin und herwendend, fiel mir ein Begriff ein, der mich selbst verblüffte. Das Glück auf Reisen erlebe ich als ein Wiedergewinnen von Unschuld, die der Seßhaftigkeit nicht innewohnt. All dies Schauen und Staunen und Treiben lassen, die Neugierde und die wohlige Trägheit, das Ungewohnte und verblüffend „Heimatliche“, Geborgenheit schenkende, das mir auf Reisen schon wiederfuhr – es hat was mit Wiederfinden der Unschuld zu tun. Mit Erlebnissen des ersten Mal, auch beim zweiten, dritten oder siebten Mal. Auf Lanzarote zum Beispiel habe ich es mehrfach erneut erlebt. Und später an so manchem anderen Ort auch.
Vieles von diesem Glück lässt sich am ehesten in Reinkultur erleben, wenn man alleine reist. Wenn ich alleine reise, und es läuft nicht gerade alles schief, werde ich mitunter fast gläubig – an die Welt, die so reichhaltig ist, und die mich so umfängt, fremd und wirklich zugleich. Alleine reisen kann wie eine Wiedergeburt sein, ins Unbekannte hinein.
Natürlich gibt es auch gute Gründe, nicht allein zu reisen. Weil man einen Arm spüren will (diesen), während man selig auf den Sonnenuntergang glotzt. Weil die gemeinsame Geschichte neues Erzählfutter braucht. Weil Gelage mit köstlichen Speisen zu zweit oder noch mehr Menschen doch meist mehr Spaß machen. Weil die Erinnerung und die Sehnsucht Zuhause geteilt werden können. Weil ich ganz gerne die „Reiseleiterin“ gebe. Weil der manische Fotograf zwar laufend zurückbleibt, aber nach der Reise entschieden die größtmögliche Fotoausbeute vorlegt. Weil… nun, das werden wir sehen…
Alleine auf Reisen jedoch ist eine bestimmte Erfahrung, das Ich zu entleeren und glücklich neu zu füllen, wohl am stärksten. Die Psychologie kennt das Wort von der Exploration, die Kinder erleben, wenn sie plötzlich alleine loslaufen, gelingend dann, wenn sie von einem Gefühl der Sicherheit umgeben, neue eigene Wege finden. Und so erlebe ich mich oft, wenn ich mich alleine durch unbekannte Gefilde navigiere, teils wissend, teils ahnend, teils angstfrei offen.
Auf Reisen kann man die eigenen Grenzen setzen und sollte es, und erweitern, ohne sich zu traumatisieren mit zu heftigen Anforderungen. Ich bin nie Backpackerin gewesen – und als ich das erste Mal alleine in ein kleines Studio im traumverlorenen Inselinnern von Lanzarote fuhr, war ich „bereits“ 35. Und verliebte mich unsterblich in diese Erfahrung. In Reminiszenz an diese Initiation ist auch Frau auf Reisen entanden.
Zur Erfahrung der Unschuld gehört die einer seltsam ungestressten Gelassenheit. Etwa als ich in Griechenland meinen Mietwagen in eine Sanddüne fuhr, die Räder drehten durch, kein Vor und kein Zurück mehr in relativer Wildstrandeinsamkeit. Eine Situation, bei der ich Zuhause eben Mal schnell hysterisch würde – außer, dass es da keine Sandberge gibt. Mit einem geradezu himmlischen Vertrauen fand ich die einzige family weit und breit, sprach sie an – und siehe da, der Mann war Automechaniker. Mit Steinen und Wagenheber buddelte er mein Auto wieder aus. Das ging in größtmöglicher Langsamkeit, während mich die Frau mit Köstlichkeiten ihres Picknicks verwöhnte – und so dankbar ich war, es kam mir gar nicht so erstaunlich vor.
Ein weiteres Beispiel: In meinem bisherigen estnischen Lieblingsort, in Haapsalu, wollte der Bus zurück nach Tallinn nicht kommen. Die Rückfahrtzeiten auf meinem Ticket waren mit lauter interesssanten Buchstaben verziert, die Dinge bedeuten wie: fährt nur sonntags im April oder so ähnlich. Wenn die Sprache schon unerlernbar ist, wie soll ich dann solche Abkürzungen verstehen? Mit einem spanischen Freundinnenpärchen wartete ich auf diesen Bus, der nicht kam, so langsam, ganz langsam machten wir uns radebrechend zwischen spanisch und englisch einen Reim auf die Situation … und hatten nur noch eine Chance auf einen möglichen, weiteren Bus an diesem Tag, natürlich auch ohne die Abkürzung davor entschlüsseln zu können. Die beiden Spanierinnen wurden ziemlich nervös, zu zweit hat man einfach mehr zu diskutieren. Ich fand in der Nähe eine lustige Gartensubkultur á la Kaurismäki, einen Humpen Bier für einen Euro … und in mir die tiefe Gewissheit, dass mir sowieso nichts passieren kann. Irgendeine Lösung wird sich schon finden. Der letzte Bus kam übrigens dann.
Bisweilen steckt die Unschuld der Reisenden auch in den Begegnungen, die das Reisen bietet. Aus einem Zustand verträumt-introvertierten alleine Unterwegsseins werde ich offen. Im günstigsten Fall auf eine sanfte Art, die gar nichts muss, da ich in der Regel gut mit mir alleine sein kann. Es waren meist Frauen, die ebenfalls alleine oder auch in Begleitung unterwegs waren oder mir eine wohlige Unterkunft vermieteten, deren plötzlich intensive Bekanntschaft mich auf Reisen bereicherte. Manchmal bildete ich mir ein, dass der Zustand, in den ich auf Reisen gerate, eine Entspannung ausstrahlt, die andere interessiert. Dabei ist das alleine Reisen auch ein Gradmesser, wie es um die Seele steht, ob Dämonen bekämpft werden müssen im Innern … oder ob sie tatsächlich Zuhause geblieben sind. In Schattierungen kenne ich beides, und vor jedem Reiseantritt bin ich auch ein wenig lampenfiebrig deswegen.
Ach ja, und bleibt mir weg mit Mehrbettzimmern in Hostels, solange ich mir noch die Initimität der eigenen Kemenate leisten kann. Ich liebe die instinktgeleitete Auswahl einer Heimstatt auf Zeit, das duftende, gemachte Bett in freundlicher Umgebung, das offene Fenster zum Meer, das dann ganz alleine für mich seine Winde in die Einsamkeit schickt, das Wiedererkennen zuvor erkannter Wünsche an fremdem Ort.
Last not least künden bereits die Pionierinnen der weiblichen Reiselust auf eindrucksvolle Weise vom Glück und heilender Wirkung des Reisens. Isabella Bird etwa kränkelte in der Heimat meist vor sich hin, und entwickelte auf ihren wahrhaft ausgedehnten Reisen im 19. Jahrhundert plötzlich jeglichen Mut und Kraft. Enorm beeindruckend und inspirirend ist für mich auch Freya Stark, für die das Reisen ebenso wie Philosophie und Kunst Wege waren, das Altern als weniger definitiv und erschreckend zu erleben. Unschuldige Neugier nämlich lässt auch spätere Erlebnisse jung und frisch erscheinen. Die Mühsal des sesshaft-routinierten Lebens lässt diesen sich immer wieder verjüngenden inneren Raum viel weniger zu. Freya Stark wurde 100 Jahre alt, mit 86 reiste sie noch in den Himalaya.
Anmerkung zur Entstehung dieses Textes:
Reisemeisterei rief 2014 auf zur Blogparade Was macht glücklich auf Reisen? Ich freue mich, dass die dort versammlten Texte auch heute noch aufzufinden sind. Denn nicht nur mich macht Reisen glücklich…
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